Im Jahr 1657 wurden in Eschwege zwei Frauen – Tochter und Mutter – als Hexen angeklagt, gefoltert und auf dem Scheiterhaufen vor der Stadt verbrannt. Wie konnte es dazu kommen? Die Wahlpflichtkurse „Darstellendes Spiel“ der Brüder-Grimm-Schule brachten den Verlauf des langwierigen Hexenprozesses auf die Bühne des E-Werks. Als Inspiration für das Theaterstück diente dem Autor und Regisseur Oliver Abraham die historische Aufarbeitung der Prozesse in der Dokumentation von Ursula Vaupel.
Ein Stück Butter, das das eigene Kind getötet und zwei weitere Kinder krank gemacht haben soll, bringt die Handlung ins Rollen. Neidvolle Nachbarn sind sehr schnell überzeugt, dass diese Butter durch Hexenwerk vergiftet worden ist. Bald finden sich Zeugen zum zweifelhaften Ruf der gesamten Familie Rudeloff-Holzapfel. Einfache Bürger – ob im Gasthaus „Zur Krone“, in der Bäckerei „Wolf“ oder auf dem Wochenmarkt – haben ebenso wie die Hohen Herren – Bürgermeister, Dekan, Lehrer oder Gildemeister – einen Sündenbock gefunden: Catharina und ihre Mutter, großartig gespielt von Hannah Bettenhausen und Martha Ludwig.
Schnell wird deutlich, dass Catharina und ihre Mutter Martha keine Chance haben. Der Brief des Ehemannes – voller Rechtsgrundlagen – kann genauso wenig überzeugen wie die emotionalen und gottesfürchtigen Beteuerungen der ganzen Familie, unschuldig zu sein. Der junge und engagierte Inquisitor, perfekt in Szene gesetzt durch Emily Mühlhause, muss Gericht und Landesfürst dadurch überzeugen, dass er ein „freies“ Geständnis erwirkt – zur Not auch im Sinne der „Peinlichen Gerichtsordnung“ durch Folter. „Sie sollen brennen!“ heißt es schließlich in der Kneipe bei Schnaps und Bier ebenso wie bei den Ratsherren am Ende der Aufführung. Mutter und Tochter werden auf dem Scheiterhaufen vor der Stadt verbrannt. Die – frei erfundene –Begnadigung kommt zu spät.
Die Aufführung sei kurzweilig und spannend, die Sprache, obwohl alt, sei gut verständlich, lobt ein Neuntklässler schon während der Pause die Collage aus historisch belegten Hexen-Befragungen auf der Bühne und Filmausschnitten, die mit Unterstützung des medienWERK aufgenommen wurden. Bewegliche Bühnenelemente des Jungen Theaters, die von den Schülerinnen und Schülern selbst gestaltet wurden, dienten als Bühnenbild und Projektionsfläche für die Videoclips. „Die Namen der Figuren“, erklärt Oliver Abraham, „wurden teils mit wenigen Veränderungen aus den Originalprotokollen von Ursula Vaupel verwendet. Die Verhöre habe ich umgeschrieben oder hinzugedichtet. Die Videoszenen sind völlig frei erfunden, zeigen aber zugespitzt Einstellungen und Gedankengut der historischen Figuren.“
„Das Stück, das wir für die 1050-Jahrfeier Eschweges vorbereitet haben, war für uns alle eine besondere Herausforderung“, sagt Antonia Penke, die den Schwiegersohn Johann Hoberock spielte, „vor allem die Filmaufnahmen: Bei den wechselnden Einstellungen mussten wir uns immer wieder neu in unsere Rollen hineinversetzen und unseren Text beherrschen.“ „Im Verlauf der Proben war beeindruckend zu sehen“, so Oliver Abraham, „wie weit sich die Darstellerinnen und Darsteller mit ihren Figuren identifiziert haben. Da wir aus organisatorischen Gründen bei der Generalprobe zum ersten Mal in voller Besetzung gespielt haben, ist es besonders bemerkenswert, wie gut heute alles geklappt hat“, freut sich der DSp-Lehrer über die Performance seiner Truppe. „Die Musik zwischen den Szenen hat die immer dramatischer werdende Handlung unterstützt“, kommentiert ein Zuschauer, „und die Thematik ist hochaktuell: Heute sorgen ja Fake News oft genug dafür, den Ruf einer Person nachhaltig zu schädigen.“
Mit stehenden Ovationen quittierte das Publikum die Umsetzung der ernsten Thematik durch die Theatergruppe. „Meine Mutter hätte sich sehr gefreut, dass ihre Dokumentation zum zweiten Mal nach 2017 Grundlage für eine Aufführung geworden ist“, erklärt Milena Vaupel-Kenter, Tochter von Ursula Vaupel, die als Überraschungsgast gekommen war, „denn sie hat sich zeitlebens für Gleichberechtigung und gegen Verfolgung, auch zum Beispiel der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus, eingesetzt.“ Und auch Stadträtin Patricia Hölzel zeigte sich beeindruckt vom Engagement der Jugendlichen: „Ich finde es sehr imponierend, dass ihr euch mit einem ewig andauernden Thema unserer Vergangenheit, Gegenwart und wahrscheinlich auch der Zukunft, auseinandergesetzt habt, und ich hoffe, dass Menschen, die manipulieren und intrigieren, um ihre eigenen Vorteile und Vorstellungen durchzusetzen, an eurer Objektivität, Toleranz und Weltoffenheit scheitern werden.“
Wir danken euch für diesen unvergesslichen Abend und allen, die das Projekt unterstützt haben, insbesondere dem medienWERK, der Stadt Eschwege, dem Jungen Theater sowie der H9a mit Klassenlehrer Sven Zuber für das Catering!
Dr. Claudia Nitschke
Bildergalerie „Theateraufführung 2024“