Chronik der Brüder-Grimm-Schule
Von der Mädchenschule zur kooperativen Gesamtschule

1825
Bis zu diesem Jahr gibt es für die Mädchen in Eschwege zwei Schulbezirke, die mit den beiden Kirchenbezirken der Alt- bzw. Neustadt identisch sind. Trotz staatlicher Schulpflicht seit 1726 ist der Unterricht immer noch privat organisiert: Er findet für die rund 350 Schülerinnen in den Wohnungen der beiden Lehrer statt und wird durch das Schulgeld, das die Eltern zahlen, finanziert. Die Stadt betrachtet sich als für das Mädchenschulwesen nicht zuständig. Kreisrat Schmitten setzt gegen ihren erbitterten Widerstand die Vereinigung der beiden Schulen zu einer städtischen Schule durch, so dass im November 1825 der Unterricht der Bürgermädchenschule beginnen kann. In den ersten Jahren gibt es noch kein eigenes Schulgebäude, die Mädchen werden bis 1828 im alten Knabenschulgebäude und – als dieses abgerissen wird – wie die Jungen im Hochzeitshaus unterrichtet. Der Kreisrat sorgt – gegen noch heftigeren Widerstand der städtischen Behörden – auch dafür, dass ein Mädchenschulgebäude geplant, 1828 der Grundstein gelegt und die neue Schule 1830 schließlich bezogen werden kann. Auch die Mädchen haben jetzt eine öffentliche Schule, müssen aber – im Gegensatz zu den Jungen – Schulgeld bezahlen.

1864
Die Stadt als Schulträgerin verfügt eine Änderung des Mädchenschulwesens: Die „Gesammt-Mädchenschule" hat jetzt – unter einem Schulleiter – drei „Abteilungen": die höhere Mädchenschule, die Bürger-Mädchenschule und die Mädchen-Freischule. Letztere, besser Armenschule genannt, wird von den Kindern besucht, deren Eltern das Schulgeld nicht aufbringen können. Die Freischülerinnen erhalten weniger Unterricht, um „ihren Eltern bei der Arbeit behülflich sein zu können."

1877
Seit 1820 hatte sich die Einwohnerzahl Eschweges verdoppelt und damit auch die Zahl der Kinder. Der knappe Schulraum wird mehr als gut genutzt, neben ihrem eigentlichen Zweck dient die Mädchenschule zeitweise auch noch als Unterrichtsgebäude
für die vier Klassen der Privat-Töchterschule;
für die Elementarklasse der Knabenschule;
für den Unterricht der ersten Klasse der Realschule in Chemie und Physik;
für eine Klasse der Präparandenschule;
für die zweite Abteilung der Handwerksschule und für den Unterricht der Konfirmanden der Altstadt.
Diese „Übernutzung" veranlasst den Kreisschulinspektor zu der Feststellung: „Mir sind die Einrichtungen von 38 Schulen des Kreises bekannt geworden. Unter diesen allen ist nicht eine auf dem geringsten Dorfe, die an so wesentlichen Hindernissen ihres Gedeihens leidet, als die Schulen der Kreis-Hauptstadt." Als Folge dieser massiven Kritik werden die höhere Mädchenschule und die Mädchen-Freischule ausgelagert. Die Schülerinnen beider „Abtheilungen" erhalten ihren Unterricht im ehemaligen Torwärterhaus am Leimentor.
Endlich wird in Eschwege eine neue Schule gebaut und am 18. September 1877 eingeweiht. An diesem Tag hat Kronprinz Friedrich Wilhelm Geburtstag. Nach ihm wird die Schule, die er später sogar einmal besucht, benannt.

1878
Die Kinderarbeit in den Eschweger Zigarrenfabriken nimmt derartige Ausmaße an, dass die Leiter der beiden Volksschulen ein Schreiben an die Stadtschuldeputation richten. 83 Mädchen und 62 Jungen arbeiten von Montag bis Samstag, und zwar täglich bis zu sechs Stunden in den Fabriken. Dazu haben sie vormittags und nachmittags noch insgesamt mindestens drei Stunden die Schule zu besuchen. Morgens um 7, zum Teil aber auch schon um 6 Uhr, müssen sie zur Arbeit in der Fabrik erscheinen und abends verlassen sie sie erst um 19 Uhr. Der mit 46,9% hohe Anteil der Kinder unter 12 Jahren ist bemerkenswert, da nach der Gesetzeslage das Mindestalter für eine Beschäftigung von Kindern in Fabriken zwölf Jahre beträgt. Mehrere Jungen und Mädchen zählen erst acht Jahre. In einzelnen Fabriken beträgt der Anteil der Kinder unter 12 Jahren über 70 %. Bei der Länge der täglichen Arbeitszeit wird keine Rücksicht auf das Alter der Kinder genommen, wie der Fall des 8jährigen Friedrich Brill belegt, der bei der Firma Pappenheim täglich sieben Stunden arbeiten muss, und zwar vormittags von 10 bis 12 und nachmittags von 15 bis 20 Uhr. Da Friedrich außerdem noch vor und nach seinem vormittäglichen Arbeitseinsatz Schule hat, stellt sich für ihn das Problem der Freizeitgestaltung nicht: Er hat keine freie Zeit.

1895
Am Boyneburger Tor wird ein neues Volksschulgebäude für Jungen errichtet. Das bisherige Knabenschulgebäude, das Neue oder Hochzeitshaus, belegt jetzt die höhere Mädchenschule.

1911
Die bisherige „Mädchen-Gesamtschule" wird in zwei eigenständige Schulen getrennt, die Bürgermädchenschule, also die Volksschule, und die Mädchenmittelschule. Es gibt jetzt nicht länger einen gemeinsamen Schulleiter, sondern jede der nun selbstständigen Schulen erhält ihren eigenen. Erster Schulleiter der Bürgermädchenschule wird Rektor Knappe, der dieses Amt bis zu seinem Tod 1935 bekleidet.
Seit diesem Jahr gibt es auch eine eigene Schulchronik an der Bürgermädchen-schule. Eine Chronik der Mädchen-Gesamtschule wird zwar seit 1878 geführt, in ihr dominieren aber – besonders in den Anfangsjahren – Angaben über die höhere Mädchenschule. Die Volksschule wird nur hin und wieder eher beiläufig erwähnt. Die Chronik enthält neben vielen statistischen Angaben eine Fülle interessanter Ausführungen, die es verdient haben, im Rahmen einer Schulgeschichte detailliert ausgewertet zu werden. Im 1. Weltkrieg wird eine eigene „Kriegschronik" geführt, die den Anspruch geltend machen kann, ein ganz besonderes Zeitdokument zu sein. Sie enthält nicht nur eine Reihe von Feldpostbriefen, sondern zeigt recht deutlich, wie sich der Krieg auf den Schulalltag auswirkt.

1918/19
Mit der militärischen Niederlage ändert sich in Deutschland das politische System: Das autoritäre Kaiserreich wird von der demokratisch verfassten Weimarer Republik abgelöst. Schulleitung und Lehrer der Mädchenschule bleiben im Amt und werden auf die neue Verfassung vereidigt. Sind sie damit Demokraten?
Kreisschulinspektor ist bis zum Ende des Krieges Pfarrer Dithmar. Die Weimarer Republik beseitigt die geistliche Schulaufsicht und damit die geistlichen Schulinspektoren und schafft das Amt des Schulrats. Schulrat für den Kreis Eschwege wird: Pfarrer Dithmar. Auch er amtiert noch in der NS-Zeit. Als mit Hindenburg ein Repräsentant des Kaiserreiches 1925 Reichspräsident wird, gibt es eine Schulfeier und schulfrei.
Man kommt ins Grübeln über Kontinuität und Wandel.

1926
Nach fast 100 Jahren verlässt die Mädchenschule ihr angestammtes Schulhaus, um in das Gebäude zu ziehen, das 1876/77 für die Realschule errichtet und von 1911 an vom Lyzeum als Schulhaus benutzt wurde. Von 1926 bis 1992, also 66 Jahre lang, dient es fortan der Mädchen- bzw. Brüder-Grimm-Schule als „Hauptgebäude".

1938
Während des Pogroms im November wird die Einrichtung der Synagoge in der unmittelbaren Nachbarschaft der Schule zerstört, und die Nationalsozialisten sperren die in Eschwege verbliebenen Juden im Hochzeitshaus ein. Die Chronik berichtet: „Da sich dieses Ereignis während der Unterrichtszeit zutrug, wurde es für die Schülerinnen zum Erlebnis." Auch über die beabsichtigte Verwendung des Grundbesitzes jüdischer Bürger nach deren Vertreibung wird informiert: „Nach der gegenwärtigen Planung will die Stadt die jüdischen Grundstücke hier auf der Nachbarschaft erwerben, um an der Stelle, wo der Judentempel steht, eine Turnhalle zu erbauen."

1945
Die Schülerinnen sammeln während des Krieges Altstoffe, Heilkräuter, Brennnesselblätter, Wildfrüchte, Kastanien und Bucheckern zentnerweise, sie werden auch zu landwirtschaftlichen Arbeiten herangezogen. Die anfängliche Begeisterung weicht, als die Siegesmeldungen ausbleiben und die Klassen immer größer werden, weil Kinder aus „luftkriegsbeschädigten Gebieten" aufgenommen werden müssen und trotzdem Schulraum an die HJ abzutreten ist. Am 22. Februar 1945 erfolgt ein Luftangriff auf das Bahnhofsgelände, die Mädchenschule wird geschlossen und als Notunterkunft für die obdachlos gewordenen Familien genutzt, aber auch für Flüchtlinge aus dem Osten. Am 3. April, dem 3. Ostertag, besetzen amerikanische Truppen die Stadt, die Mädchenschule wird bis auf Weiteres geschlossen.

1951
In Eschwege gibt es fünf allgemeinbildende Schulen: die Friedrich-Wilhelm-Schule als Gymnasium für Jungen, die Leuchtbergschule (Lyzeum) als Gymnasium für Mädchen sowie die Bürgerknabenschule, die Bürgermädchenschule und die Katholische Volksschule als „Volksschulen".
Eschweger Eltern, deren Kinder eine mittlere Laufbahn in Wirtschaft oder Verwaltung anstreben, fordern, einen „Aufbauzug" als dritten allgemeinen Schultyp, den es da-mals im Kreis Eschwege nur in Wanfried und Herleshausen gibt.

1952
Der Eschweger „Bürgermädchenschule" auf dem Schulberg wird ein solcher Aufbauzug angegliedert. Schulleiter wird der spätere Schulrat Dr. Hans Kaestner. Unterrichtliche Schwerpunkte sind neben Deutsch und dem bürgerlichen Rechnen die Naturwissenschaften, Englisch als erste Fremdsprache sowie Stenografie und Maschinenschreiben. Revolutionär und richtungsweisend auch für das übrige allgemeinbildende Schulwesen in Eschwege. Trotz der Angliederung an die Bürgermädchenschule wird in einem neuen Schulzweig koedukativ unterrichtet, das heißt Mädchen und Jungen lernen gemeinsam.

1954
Der Aufbauzug wird zum Mittelschulzug. Schulleiter wird Hans Allmeroth, der die Schule bis zu seiner Verabschiedung in den Ruhestand 1974 entscheidend prägt. Schülerinnen und Schüler, die die Schule erfolgreich absolvieren, bekommen das Zeugnis der Mittleren Reife und streben in der Mehrheit mittlere Laufbahnen in kaufmännischen, technischen und verwaltenden Berufen an.

1955
Nach dem Neubau der Struthschule werden in Eschwege koedukative Bezirksschulen eingerichtet. Die beiden Schulen der Altstadtbezirke erhalten dabei neue Namen. Die Bürgerknabenschule wird zur Alexander-von-Humboldt-Schule und die Bürgermädchenschule führt jetzt den Namen Brüder-Grimm-Schule.

1956
An der Brüder-Grimm-Schule besteht der erste vollständige Mittelschulzug von der 5. bis zur 10. Klassen. Am 20. März verlassen die ersten dreißig Mädchen und Jungen die Brüder-Grimm-Schule mit dem Zeugnis der Mittleren Reife.

1963
Aus dem Mittelschulzweig ist inzwischen eine Realschule geworden. Erstmals wird über einen Schulneubau nachgedacht, denn das wachsende Interesse am mittleren Bildungsabschluss hat dazu geführt, dass die Brüder-Grimm-Schule unter katastrophaler Raumenge leidet. Mit Stundenkürzungen und Schichtunterricht, dann auch mit baulichen Maßnahmen an den Gebäuden auf dem Schulberg versucht man zunächst der Lage Herr zu werden. 1976 besuchen rund 800 Schülerinnen und Schüler die Brüder-Grimm-Schule. Die Entstehung zweier neuer Realschulen in Eschwege und Reichensachsen lässt zwar zwischenzeitlich die Schülerzahlen rückläufig werden, bringt aber bei anhaltendem Elterninteresse an der Brüder-Grimm-Schule keine dauerhaft zufriedenstellende Raumsituation.

1976
Neuer Schulleiter wird Jürgen Schinkmann. Unter seiner Leitung gelingt es, die prekäre Raumsituation der Brüder-Grimm-Schule zu beenden und der Schule die heutige Organisationsform zu geben. Bis 1992 ändert sich aus verschiedenen infrastrukturellen Gründen die Organisationsform der Brüder-Grimm-Schule mehrfach. Aus der Volks- und Realschule wird zunächst eine Grund- und Realschule und schließlich eine Haupt- und Realschule.

1992
Eltern, Schüler und Lehrer helfen beim Umzug der Brüder-Grimm-Schule in die neuen Räume in der Dünzebacher Straße. Pünktlich zum Schuljahresbeginn kann dort der Unterricht beginnen. Am 28. August des gleichen Jahres wird die Schule auf Beschluss des Kreistages des Werra-Meißner-Kreises in eine schulformbezogene Gesamtschule mit vorgeschalteter Förderstufe umgewandelt.

1999/2000
Die Brüder-Grimm-Schule wird im Schuljahr 1999/2000 von ca. 750 Schülerinnen und Schülern besucht.

2005
Die Brüder-Grimm-Schule wird in eine schulformbezogene Gesamtschule mit Eingangsklassen umgewandelt.

2007
Direktor Jürgen Schinkmann geht in den Ruhestand. Die Nachfolge übernimmt Harald Krones.

2009
Die Brüder-Grimm-Schule stellt den gymnasialen Zweig von „G8" auf „G9" um.
Somit erhalten die Schülerinnen und Schüler mehr Zeit zum Lernen und wechseln erst nach der 10. Klasse zu weiterführenden Schulen. Durch diese organisatorische Maßnahme und ihre gute pädagogische Arbeit wächst die Schülerzahl auf den historischen Höchststand von 890 Schülern an. 65 Lehrkräfte unterrichen in 38 Klassen.

2011
Die Brüder-Grimm-Schule richtet für Haupt- und Realschüler der Jahrgänge 5 und 6 eine Förderstufe ein. Die gymnasialen Eingangsklassen beginnen wie bisher im Jahrgang 5.
Die Schule erreicht einen erneuten Höchststand von 940 Schülern. 65 Lehrkräfte unterrichten in 39 Klassen.

2014
Die Brüder-Grimm-Schule setzt sich in ihrem Schulprogramm die Schwerpunkte MINT, Berufsorientierung und Umwelt und erhält mehrere Auszeichnungen erhalten.

2016
Schulleiter Harald Krones geht am 31.07.2016 in den Ruhestand. Manuel Coote wird neuer stellvertretender Schulleiter und leitet die Schule bis zum Schulhalbjahresende 2016/2017.

2017
Ute Walter wird ab 07.02.2017 neue Schulleiterin der BGS. Am 12. Mai tritt die Schule offiziell dem bundesweiten Netzwerk Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage bei.

2020
Zum Halbjahreswechsel 2019/2020 wird Rainer Otte neuer stellvertretender Schulleiter der Schule.

2021
Als erste nordhessische Schule erhält die Brüder-Grimm-Schule das Zertifikat „Digitale Schule“.

2023
Am 24. Mai verlässt der stellvertretende Schulleiter und Leiter des Gymnasialzweigs Rainer Otte die Schule, um einen Auslandsschuldienst aufzunehmen. Zu Beginn des Schuljahres 2023-2024 übernimmt der bisherige Realschulzweigleiter Tobias Graf zusätzlich kommissarisch die stellvertretende Schulleitung.

2024
Am 30. Januar 2024 wird Ute Walter als Schulleiterin in den Ruhestand verabschiedet. Tobias Graf übernimmt bis zur Nachbesetzung die Funktion des kommissarischen Schulleiters.

Mit Wirkung vom 25. Juli 2024 wird Heiko Striening, der bislang die Förderstufe und den Gymnasialzweig leitete, kommissarisch mit der Leitung der Brüder-Grimm-Schule beauftragt.

 



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